Structured Analytic Techniques for Intelligence Analysis
von Richards Heuer und Randolph Pherson
- Buchrezension -
Structured Analytic Techniques for Intelligence Analysis[1] kann als das Standardnachschlagewerk für Strukturierte Analysetechniken (SATs) bezeichnet werden. Aufgeteilt ist es, neben Kapiteln, die sich generell mit dem Thema Analysetechniken befassen, in unterschiedliche Analysetechnikfamilien (ATF). Beispielsweise Decomposition and Visualization oder Scenarios and Indicators. Innerhalb dieser ATFs haben Heuer und Pherson insgesamt 55 SATs angeordnet. Sie gehen darauf ein, wann welche SAT zu nutzen ist, welchen Mehrwert sie generiert, wie sie anzuwenden ist und welche Schwierigkeiten bei der Anwendung auftreten können. Auch wenn das Buch keinen erfahrenen Anleiter für insbesondere anspruchsvollere SATs ersetzen kann, hat es aus meiner Sicht zu Recht den Status als Standardwerk und gehört auf den Schreibtisch jedes Analysten. In dieser Rezension erfahren Sie wie das Buch aufgebaut ist und was die zentralen Inhalte sind.
Das Buch „Structured Analytic Techniques for Intelligence Analysis“ ist vor allem ein Nachschlagewerk. Natürlich kann man das Buch von Buchdeckel zu Buchdeckel durchlesen, aber der Aufbau des Buches verhindert ein flüssiges Lesen des Gesamtwerkes. Nimmt man das Buch allerdings als Nachschlagewerk an, dann wird man schnell feststellen, dass die Einteilung in unterschiedliche Analysetechnikfamilien (ATF) hilfreich ist, um für unterschiedliche Fragestellungen unterschiedliche Techniken zu finden. Die Begründung für das Buch kann auf den Seiten 25-26 quasi zusammengefasst nachgelesen werden:
“Structured analytic techniques can mitigate some of the human cognitive limitations, sidestep some of the well-known analytic pitfalls, and explicitly confront the problems associated with unquestioned assumptions and mental models. They can ensure that assumptions, preconceptions, and mental models are not taken for granted but are explicitly examined and tested.”[2]
Einleitend schildern die Autoren ihre Vision des Arbeitens im Bereich Intelligence Analysis – weg von einem individuellen Bestreben, hin zu einem Gruppenprozess, in dem Strukturierte Analysetechniken (Structured Analytic Techniques / SATs) eine Unterstützung bieten. Eine Unterstützung, nicht nur für das Strukturieren und Organisieren des Denkprozesses eines jeden Analysten, sondern auch eine Unterstützung für die gleichen Tätigkeiten innerhalb einer Gruppe von Analysten.[3]
Heuer und Pherson weisen kurz auf die zwei Arten des Denkens – das schnelle und das langsame Denken – sprich: System 1 und System 2 hin. Sie führen auch aus, dass sich die bekannten kognitiven Fallstricke (Biases und Heuristiken) aus System-1-Denken ergeben und SATs eine Form von System-2-Denkens darstellen.[4] Die Herleitung dieses eigentlich zentralen Motivs für die Nutzung von SATs könnte durchaus umfangreicher ausfallen, berücksichtigt man den doch beachtlichen Aufwand den es erfordert, SATs zu durchdringen, auszubilden und anzuwenden. Allerdings kann Jeder, der sich über die zu Grunde liegenden Formen des Denkens informieren möchte, an anderer Stelle weiter informieren.
Nach einem kurzen historischen Abriss über die Entstehungsgeschichte von Strukturierten Analysemethoden respektive ihren Vorläufer um die Jahrtausendwende, folgt die Begründung für die getroffene SAT-Auswahl im Buch.[5] Für Jeden, der sich etwas intensiver mit dem Thema SATs auseinandersetzen möchte, sind derartige Einblicke durchaus interessant. Wenn das eigene Ziel das reine Erlernen und das Anwenden von SATs ist, dann stellt die Lektüre der Hintergründe jedoch kein Muss dar.
In Kapitel 2 gehen die Autoren nochmals auf die zwei Arten des Denkens ein:
„System-1-Denken ist intuitiv, schnell, effizient und oftmals unbewusst. Dieses intuitive Denken ist oftmals richtig / zutreffend, aber es ist auch eine häufige Ursache kognitiver Biases und anderer intuitiver Fehler, die zu fehlerhaften Analysen führen können.“[6]
„System-2-Denken ist analytisch. Es ist langsam, willentlich, bewusst und das Ergebnis einer reflektierten Denkweise. Neben strukturierten Analysetechniken beinhaltet System-2-Denken das kritische Denken und das volle Spektrum qualitativer und quantitativer Analyse.“ [7]
Fortfolgend beschreiben die Autoren eine Taxonomie für den Bereich des System-2-Denkens. Diese soll Orientierung bieten und es ermöglichen, Strukturierte Analysemethoden einzuordnen. Aus Sicht der Autoren gibt es vier unterschiedliche Kategorien von System-2-Denken, in Abgrenzung zum System-1-Denken. Den Bereich des Kritischen Denkens, der Empirischen Analyse, der Strukturierten Analyse und der Quasi-Quantitativen Analyse.[8] Ohne an dieser Stelle auf jede Kategorie einzeln einzugehen, kann die Lektüre dieser Taxonomie deutlich empfohlen werden. Sie bietet eine Orientierung im Bereich des System-2-Denkens und kann auch für die Orientierung innerhalb des eigenen Analyseprojektes hilfreich sein. Zu identifizieren, um welches Analyseproblem es sich bei dem eigenen handelt und folglich welche Herangehensweise sich lohnen würde, kann viel Zeit sparen und zu besseren Ergebnissen führen.
Kapitel 3 - Auswahl von Strukturierten Analysetechniken
In Kapitel 3 versuchen Heuer und Pherson eine Hilfestellung für die Auswahl von SATs zu geben. Den Ausgangspunkt bildet hierbei die Frage, welche Biases oder kognitiven Fallstricke in einem Projekt am ehesten vermieden oder in ihren Auswirkungen begrenzt werden sollen.[9] Acht SATs zählen die Autoren zu sogenannten „Kerntechniken“ (Core Techniques). Das sind SATs, die in vielen verschiedenen Situationen angewendet werden können und in der US-Intelligence Community besonders häufig genutzt werden. Die Kerntechniken sind:
- Structured Brainstorming,
- Cross-Impact-Matrix,
- Key Assumptions Check,
- Indicators,
- Analysis of Competing Hypothesis,
- Premortem Analysis
- Structured Self-Critique,
- What If? Analysis[10]
Der hier beschriebene Ausgangspunkt ist wahrscheinlich nicht sonderlich anfängerfreundlich. Aus meiner Sicht ist die Wahl eines anderen Ausgangspunktes, insbesondere für angehende Seniors, sinnvoller: Welche SAT kann mir helfen, die vorliegende Frage am besten zu beantworten? Diese Vorgehensweise wird auch durch den ISODAR-Prozess[11] in den Mittelpunkt gestellt, den ich an dieser Stelle als Hilfestellung für die Technikauswahl empfehlen möchte.
Im weiteren Verlauf des Buches befassen sich Heuer und Pherson mit dem Faktor Zeit. Sie gehen davon aus, dass das Anwenden von SATs in Phasen, in denen die Produkterstellung zeitkritisch ist, wahrscheinlich nicht möglich ist. Sie weisen jedoch darauf hin, dass das Anwenden von SATs in Phasen, in denen die Produkterstellung nicht zeitkritisch ist, eine Critical-Thinking-Übung ist, sodass auch bei kurzfristigen Projekten langfristig ein Mehrwert generiert werden kann. Hintergrund dieser Überlegung ist, dass das Anwenden von SATs die Art und Weise verändert, wie über Probleme nachgedacht wird und wie Fragestellungen angegangen werden. Diese Veränderung ist in ihrer Natur grundsätzlich und wird sich auch dann auswirken, wenn SATs nicht explizit angewendet werden. Die so aufgebauten kognitiven Fähigkeiten spiegeln die Autoren dann auf die von ihnen ausgearbeiteten „Five Habits of the Master Thinker“. Diese umfassen die Fähigkeiten zu erkennen, wann zentrale Annahmen geprüft werden und wann alternative Erklärungen (beispielsweise in Form von alternativen Hypothesen) berücksichtigt werden müssen, die Bereitschaft auch widersprüchliche Informationen zu verarbeiten und damit Hypothesen zu falsifizieren, die Konzentration auf Key-Driver und das Verständnis für die Bedarfsträgerforderung hinsichtlich der anzufertigenden Analyse, sowie des Gesamtkontextes in dem diese angefertigt werden soll.[12]
Nachdem die Autoren in Kapitel 3.3 dazu raten, mehrere Techniken für ein und dasselbe Problem anzuwenden, um ein möglichst fundiertes Analyseergebnis zu erzielen, gehen Sie auf vier häufige Fehler ein, die bei der Methodenauswahl vorkommen. Schließlich bieten Sie einen Methodenauswahlführer an, der dabei helfen soll, die passende(n) Methode(n) für das eigene Analyseprojekt zu identifizieren. Hierbei werden 12 unterschiedliche Beispielfragen gestellt und eine Reihe von SATs oder Analysetechnikfamilien vorgeschlagen, die aus Sicht der Autoren für die Beantwortung der Beispielfrage am sinnvollsten einzusetzen sind.[13] Aus meiner Sicht ist ein Methodenauswahlführer äußerst erstrebenswert. Jedoch muss ich aus eigener Erfahrung sagen, dass der hier angebotene Methodenauswahlführer nur begrenzt hilfreich ist. Trotzdem bietet er einen Ausgangspunkt, von dem aus man versuchen kann, sich den unterschiedlichen Analysetechniken zu nähern.
In den folgenden acht Kapiteln behandeln Heuer und Pherson jeweils eine Analysetechnikfamilie (ATF). In jeder Familie finden sich unterschiedliche SATs wieder. Nachfolgend werde ich den Zweck der in der Analysetechnikfamilie zusammengefassten SATs kurz darstellen. Die Zweckbeschreibung findet sich jeweils auf den ersten Seiten einer jeden Analysetechnikfamilie. Auf die einzelnen SATs werde ich in dieser Rezension nicht gesondert eingehen.
Kapitel 4 - Decomposition and Visualization
Die Analysetechnikfamilie Decomposition and Visualization (Kapitel 4) dient vor allem dazu, Informationen aus dem Kopf des Analysten auf das Papier zu bekommen. Der generierte Mehrwert ergibt sich aus der begrenzten Kapazität des Analysten, mehrere Informationen auf einmal im Arbeitsgedächtnis zu behandeln. Zudem entspricht der Teil der Decomposition – also des Zerlegens von Informationen – im Wesentlichen der Heuer-Definition von Analyse.[14]
Kapitel 5 - Idea Generation
Idea Generation (Kapitel 5) hilft dabei, neue Vorstellungen zu generieren oder altes Wissen neu zu arrangieren. Wenn Techniken aus dem Bereich Idea Generation eingesetzt werden, können so unterschiedliche Perspektiven, Annahmen und Ideen zu Tage gefördert werden. Damit können Techniken aus dieser SAT-Familie dabei helfen, groupthink, premature closure oder die „Mentale Shotgun“ (Kahnemann) zu vermeiden.[15]
Kapitel 6 - Scenarios and Indicators
Scenarios and Indicators (Kapitel 6) würdigen den Umstand, dass „Die Zukunft Plural“ ist. Es also unwahrscheinlich ist, die eine Zukunft vorherzusagen. Vielmehr ist es sinnvoll, Vorgesetzte auf eine Reihe von möglichen Zukünften einzustimmen und vorzubereiten, damit sie ihre jeweiligen Planungen auf eine Reihe möglicher Szenare ausrichten können. Hierzu ist es sinnvoll, die Komplexität eines Gegenstandes einzugrenzen und sich beispielsweise auf die Haupttriebkräfte (driving forces) zu konzentrieren, diese zu bestimmen, zu beschreiben und zu beobachten. Im Rahmen der Szenaranalyse wird der Analyst gezwungen, sich mit anderen Analysten auszutauschen.
Groupthink und die individuellen biases werden durch den strukturierten Einsatz divergierender Wissensschätze und Erfahrungen vermindert. Dadurch, dass der Analyst gezwungen wird, über die Zukunft im Plural nachzudenken, muss er Sichtweisen nutzen, die er individuell (intuitive judgement) vermutlich nicht eingenommen hätte. Das Herausarbeiten von Indikatoren für unterschiedliche Szenare ermöglicht es zudem, auch graduelle Veränderungen wahrzunehmen. So kann vermieden werden, dass Analysten diese Veränderungen wegrationalisieren, weil diese nicht zu ihrer eigenen Interpretation zur künftigen Lageveränderung passen. Damit schärften Szenare und Indikatoren die Wahrnehmung von Analysten für unterschiedliche Lageentwicklungen.[16]
Kapitel 7 - Hypothesis Generation and Testing
Hypothesis Generation and Testing (Kapitel 7) ist eine Kernaufgabe im Bereich Analyse. Erklärungen vergangener Ereignisse oder zukünftiger Entwicklungen sind zunächst Hypothesen, die mit Hilfe von Informationen getestet werden müssen.
Indem der Analyst methodengeleitet gezwungen wird, mehrere alternative Hypothesen aufzustellen, sollen Biases wie der Ankereffekt, Confirmation Bias und Premature Closure begrenzt werden. Im Bereich des Testing werden Hypothesen mit Informationen getestet.
Ziel ist es, den Analysten für die Qualität von Informationen zu sensibilisieren und ihn zu zwingen, auch Informationen zu verarbeiten die Hypothesen falsifizieren, anstatt nur Informationen zu nutzen, die Hypothesen verifizieren (confirmation bias / Verfügbarkeitsheuristik umgehen). Denn der Normalzustand des menschlichen Geistes ist das Verarbeiten von Informationen in Abhängigkeit vom existierenden Weltbild (mental model).[17] In diesem Normalmodus werden Informationen begünstigt aufgenommen und für wahrscheinlicher wahr gehalten, die das eigene Weltbild stützen. Informationen, die das eigene Weltbild in Frage stellen, werden ignoriert. Dies ist eine natürliche Funktion von System 1. Ein in diesem Kontext sinnvoller Begriff ist das „satisficing“ – eine Kombination aus satisfy (dt: Zufriedenstellen) und suffice (dt: genügen, ausreichen). Der Begriff beschreibt den Vorgang, bei dem die erstbeste kohärente Erklärung für eine Fragestellung als ausreichend bewertet wird, in Abgrenzung zur zweckmäßigeren Strategie, unterschiedliche Erklärungen (Hypothesen) zu entwickeln, und diese zu testen.[18]
Kapitel 8 - Assessment of Cause and Effect
Diese ATF ist wichtig, da Aussagen zu vergangenen oder künftigen Entwicklungen auf einem impliziten Verständnis von Ursache und Wirkung basieren. In komplexen Gemengelagen (und solche stellen den Normalfall dar) sind solche Ursache-Wirkungszusammenhänge äußerst fehleranfällig. Beispielsweise für Mirror-Imaging, den Attributionsfehler, die Verfügbarkeitsheuristik oder iIllusorische Kausalität. Zudem kann es auch in diesem Kontext zu satisficing kommen, indem ausschließlich die erstbeste kohärent erscheinende Ursache beachtet wird, anstatt alternative oder multiple Ursachen zu suchen. Bei der Erklärung von Geschehnissen oder der Vorhersage künftiger Entwicklungen unterscheidet Heuer einleitend noch drei unterschiedliche Vorgehensweisen: situational logic, comparison with historical situations and applying theory.[19]
Kapitel 9 - Challenge Analysis
Challenge Analysis (Kapitel 9) wird genutzt, um vorhandene „mental models“, main analytic lines, groupthink etc. zu hinterfragen bzw. zu vermeiden.[20] Die Tatsache, dass Analysten ihre Bewertungen in der Regel mit Angaben zu Wahrscheinlichkeiten kombinieren (möglicherweise, wahrscheinlich etc.) zeigt bereits an, dass es Alternativen zur getroffenen Bewertung geben muss. Wenn sich der Analyst also zu 75% sicher ist, dass sich eine Situation auf eine bestimmte Art und Weise entwickeln wird (was eine recht hohe Wahrscheinlichkeit wäre) dann räumt er einer oder mehreren alternativen Entwicklungslinie(n) innerhalb der eigenen Bewertung bereits eine 25% Wahrscheinlichkeit ein, sich zu entfalten.
Diese 25% Wahrscheinlichkeit für alternative Entwicklungen bzw. Bewertungen sollten in der Analyse jedenfalls berücksichtigt werden.[21] Im Bereich Strukturierter Analysetechniken werden drei Typen von Challenge-Analysis-Techniques unterschieden:
- Selbstkritik
– Hierzu gehören die Methoden Premortem-Analysis und Structured Self-Critique, die Analysten anwenden können, um Konformitätsdruck und ähnliches zu vermindern.
- Kritik an Anderen
– Hierzu zählen die What If? Analysis oder die High Impact / Low Probability Technik.
- Kritik von Anderen
– Hierzu gehören die Techniken Teufels Advokat oder Red Teaming.
In diesem Kontext kann auch von Reframing gesprochen werden. Beim Reframing geht es darum, neue Ideen zu entwickeln oder alte Ideen aus anderen Perspektiven zu betrachten. Hintergedanke hierbei ist der Automatismus, mit dem Menschen die immer gleichen mentalen Trampelpfade (bzw. Autobahnen) nutzen, um bei ähnlich gelagerten Fragen zu der immer gleichen Antwort zu kommen.[22]
Hierzu passen die Ausführungen von Dr. Daniel Kahnemann zur Ersetzung von Fragen durch System 1. Ein Vorgang, der im Kontext von Analyse deswegen nicht unterschätzt werden sollte, weil auch das System 2 im Normalmodus nur die Möglichkeit hat, unter den Angeboten von System 1 auszuwählen. Wenn keine Antwort jenseits der „main analytic line“ vorgeschlagen wird, kann auch System 2 keine alternativen Erklärungen auswählen. Damit sind Kreativitätstechniken und Techniken des Reframings (Challenge Analysis) Methoden, um dem Normalfall kognitiver Arbeit ein erkenntnisgenerierendes Moment entgegenzusetzen. Die im Rahmen von SAT zusammengetragenen Methoden sollen den Analysten zwingen, andere Perspektiven einzunehmen oder kurzum: andere Synapsen-Cluster (Heuer: Schemata) im Gehirn zu aktivieren.[23]
Kapitel 10 - Conflict Management
Conflict Management (Kapitel 10) berücksichtigt, dass SATs zwangsläufig zur Identifikation von sich teilweise widersprechenden Positionen führen. Ziel der Methoden in dieser Analysetechnikfamilie ist die Berücksichtigung unterschiedlicher Perspektiven und der Rat der gewinnbringenden Berücksichtigung dieser möglichst zu Beginn des Analyseprozesses. Auf diese Weise sollen unterschiedliche Standpunkte optimal genutzt werden, bevor diese sich am Produktionsende vermeintlich unabänderlich konfrontativ gegen-überstehen.[24]
Kapitel 11 - Decision Support
Decision Support (Kapitel 11) soll zwei unterschiedlichen Zielen dienen. Zum einen haben auch Entscheidungsträger Schwierigkeiten, eine hohe Anzahl unterschiedlicher entscheidungsrelevanter Informationen auf einmal im Kopf zu behalten.[25] Hier existieren Parallelen zu der begrenzten kognitiven Arbeitsfähigkeit des Analysten, die bereits im Bereich Decomposition and Visualization angesprochen wurde. Decision Support Techniken / Darstellungen können also dazu dienen, große Mengen an Informationen verfügbar zu machen, ohne Entscheidungsträgern die Möglichkeit zu nehmen, das große Ganze zu sehen.
Zum anderen bieten die SAT aus diesem Bereich auch die Möglichkeit, Entscheidungssituationen für zu analysierende Akteure zu konstruieren. Das ermöglicht ein besseres Verständnis beispielsweise für andere militärische Führer, fremde Administrationen und so weiter. Auch eine solche Übersicht der Entscheidungssituation anderer Akteure kann einen Mehrwert für die eigenen Entscheidungsträger generieren. Zudem setzt man sich nicht dem Risiko aus, die Entscheidungen anderer Akteure ein-eindeutig vorherzusagen (Problematik kognitiver Verzerrungen beispielsweise Mirror-Imaging, Attributionsfehler etc.) sondern man generiert mit dem Produkt situational awareness für die eigenen Entscheidungsträger.[26]
Kapitel 12 – Practitioner’s Guide to Collaboration
In Kapitel 12 – Practitioner’s Guide to Collaboration – heben die Autoren das Thema Teamwork in den Vordergrund. Ausgangspunkt ist auch hier wieder die Beobachtung, dass die Tätigkeit des Analysten zunehmend auf dem Weg von einem individuellen Bestreben und hin zu einer gemeinschaftlichen Aufgabe ist. Heuer und Pherson unterscheiden drei Arten von Teams: Traditionelle Analyseteams, wie sie in der Regel in geschlossenen Organisationen vorkommen, Spezielle Projektteams, die vor allem in Krisensituationen ad hoc gebildet werden und Analyseergebnisse liefern müssen und Soziale Netzwerke, die als persönliche Netzwerke von Analysten dienen und die bei Bedarf zur Rekrutierung von Expertenwissen genutzt werden können.[27]
Insgesamt geht der Trend in Richtung intra- und interorganisatorischer Zusammenarbeit. Dies gilt sowohl für Teams, die gemeinsame Büros nutzen, als auch für Teams, die räumlich getrennt arbeiten. Neben Tipps, wie dieses gemeinsame Arbeiten auch über weitere Entfernungen funktionieren kann und Hinweisen, welche Schwierigkeiten beim Arbeiten in Gruppen auftreten können, stellen die Autoren einen möglichen Rahmen für erfolgreiche Zusammenarbeit vor.[28] Insgesamt weisen die Autoren in diesem Kapitel auf relevante Dynamiken im Zusammenarbeiten von (Klein-)Gruppen hin. Der geringe Umfang des Kapitels bedingt, dass nur kursorisch auf wichtige Punkte eingegangen wird. Nichtsdestotrotz kann der Leser einen Eindruck davon gewinnen, auf was bei einer gruppenbasierten Arbeitsweise zu achten ist.
Kapitel 13 - Wirksamkeit von SATs
Im vorletzten Kapitel 13 befassen sich Heuer und Pherson mit der Frage, wie die Effektivität von SATs wissenschaftlich nachgewiesen werden könnte. Mit Stand des Erscheinungsjahres 2015 – und auch bis in das laufende Jahr 2019 – gibt es keine umfangreichen Studien, die sich mit dieser Fragestellung auseinandersetzen.[29] Die Autoren sehen zahlreiche Herausforderungen, die eine Studie zur Effektivität angehen müsste. Beispielsweise seien an dieser Stelle genannt, dass SATs zu unterschiedlichen Zwecken eingesetzt werden können und die Anwendung der Techniken der Anwendung in der Intelligence Community insgesamt entsprechen müssten.
Zudem werden Analysen im Bereich Intelligence Analysis für Fragestellungen hoher Mehrdeutigkeit, unvollständiger Informationen und hohem Zeitdruck zu einem Urteil zu kommen erstellt. Diese Variablen müssten für ein experimentelles Testen nachgestellt werden. Problematisch bliebe, dass selbst im Falle eines guten experimentellen Aufbaus die Bewertungen im Bereich Intelligence Analysis grundsätzlich einem hohen Grad an Unsicherheit unterliegen. Die Autoren bezeichnen eine Erfolgsquote der Richtigkeit von Bewertungen von 70 % als gut. Nutzt man diesen Wert als Basis, kann davon ausgegangen werden, dass Experimente mehrere gleich angelegte Testreihen umfassen müssten, um zu aussagekräftigen Ergebnissen zu gelangen. Ein Einzelergebnis würde im Bereich Intelligence Analysis keine Aussagekraft besitzen.[30] Nichtsdestotrotz machen Heuer und Pherson Vorschläge, wie die Effektivität von SATs wissenschaftlich untersucht werden könnte. Sie legen hierbei den Fokus auf das durch die jeweilige SAT angestrebte Ziel und ob dieses erreicht wird. Beispielsweise ist das Ziel des Key Assumptions Check (KAC) die Identifikation und das Überprüfen von einer Analyse zu Grunde liegenden Annahmen. Daher sollte die Zielsetzung einer wissenschaftlichen Überprüfung sein, ob beispielsweise dieses Ziel bei der Anwendung eines KAC erreicht wurde oder nicht: Ähnlich sollte mit weiteren SATs verfahren werden.[31]
Kapitel 14 – Qui Vadis SATs?
Im abschließenden Kapitel 14 wenden Heuer und Pherson Strukturierte Analysetechniken an, um sich der Frage zu nähern, in welche Richtung sich die Anwendung Strukturierter Analysetechniken zukünftig bewegen wird. Sie kommen zu dem Schluss, dass es einen Anstieg in der Anwendung von Strukturierten Analysetechniken geben wird. Als Key-Driver (Schlüsseltreiber) für eine entsprechende Entwicklung identifizieren sie folgenden Variablen:
- Führungspersonal etabliert zunehmend eine Kultur der Zusammenarbeit,
- Arbeitgeber entwickeln Plattformen für ortsunabhängiges, virtuelles Zusammenarbeiten,
- Adressaten von Analysen fordern zunehmend gründlichere, von mehreren Analysten gemeinschaftlich erstellte Analysen, die auf elektronischen Endgeräten (Tablets o.ä.) bereitgestellt werden und
- einen Generationenwechsel, hin zu einer Generation, die eine natürliche Affinität zu sozialen Netzwerken und dem Teilen von Inhalten aufweist.[32]
Den Abschluss des Buches stellt eine Grafik dar, auf der die unterschiedlichen Analysetechnikfamilien, samt zugehörigen Strukturierten Analysetechniken und Verbindungen untereinander dargestellt werden.[33] Die Grafik kann dabei helfen, sich einen visuellen Überblick über die unterschiedlichen Analysetechnikfamilien und den zugehörigen Strukturierten Analysetechniken zu verschaffen. Mehr leistet die Grafik aus meiner Sicht jedoch nicht.
Gesamtbewertung des Buches „Structured Analytic Techniques for Intelligence Analysis“
In der Gesamtbewertung kann das Buch „Structured Analytic Techniques for Intelligence Analysis“ von Richards Heuer und Randolph Pherson aus meiner Sicht zu Recht als das Standardnachschlagewerk für Strukturierte Analysetechniken bezeichnet werden. Auch wenn das Buch keinen erfahrenen Anleiter für insbesondere anspruchsvollere SATs ersetzen kann, ermöglicht es Anfängern und Fortgeschrittenen gleichermaßen einen verlässlichen Rückgriff auf die gängigsten SATs und gehört damit aus meiner Sicht auf den Schreibtisch eines jeden Analysten.
Buch-Rezension Herunterladen
Die gesamte Rezension des Werkes „Structured Analytic Techniques for Intelligence Analysis“ von Richards Heuer und Randolph Pherson können Sie unter folgendem Link als .pdf herunterladen.
[1] Heuer, Richards / Pherson, Randolph: Structured Analytic Techniques for Intelligence Analysis, 2nd Edition, CQ Press, California, 2015. S. 25-26.
[2] Heuer / Pherson, ebd., S. 25-26.
[3] Vgl. ebd, S. 4 ff.
[4] Vgl. ebd, S. 4 f.
[5] Vgl. ebd, S. 8 ff.
[6] ebd, S. 19, eigene Übersetzung.
[7] ebd, S. 19, eigene Übersetzung.
[8] Vgl. ebd., S. 19 ff.
[9] Vgl. ebd, S. 29 ff.
[10] Vgl. ebd, S. 31 f.
[11] Der ISODAR-Prozess zerfällt in die fünf Phasen: (Initial) Scan, Organize, Develop, Apply und Refine. Hierbei sind die Phasen Organize und Develop zentral, da in ihnen die dem Analyseprojekt zu Grunde liegende(n) Fragestellung(en) organisiert und SATs zugeordnet werden. Vgl. hierzu: www.strukturierte-analyse.de/Produkte/ISODAR-Prozess (Link noch nicht aktiv, Stand: 23.07.2020)
[12] Vgl. ebd., S. 34 ff.
[13] Vgl. ebd, S. 36 ff.
[14] Vgl. ebd., S. 43 f.
[15] Vgl. ebd, S. 99.
[16] Vgl. ebd, S. 133 f.
[17] Vgl. ebd., S. 165 f.
[18] Vgl. ebd, S. 166.
[19] Vgl.ebd., S. 205 f.
[20] Vgl ebd., S. 233.
[21] Vgl. ebd, S. 233 f.
[22] Vgl. ebd, S. 236.
[23] Vgl. ebd., S. 238.
[24] Vgl. ebd, S. 273 ff.
[25] Vgl. ebd, S. 289 ff.
[26] Vgl. ebd, S. 289 ff.
[27] Vgl. ebd., S. 323 ff.
[28] Vgl. ebd, S. 326 ff.
[29] Die jüngste hier bekannte Publikation zu diesem Thema stammt aus dem Jahr 2016. Vgl. hierzu: Artner, Spehen et al: Assessing the Value of Structured Analytic Techniques in the U.S. Intelligence Community, RAND Corporation, 2016, Online: https://www.rand.org/pubs/research_reports/RR1408.html, Zugriff: 15.07.2019.
[30] Vgl. Heuer / Pherson, a.a.O., S. 341 ff.
[31] Vgl. ebd S. 345 ff.
[32] Vgl. ebd, S. 355 ff.
[33] Vgl. ebd, S. 362 f.